Gesundheits-News – Umdenken in der Demenz-Therapie gefordert: Aktivierende Pflege statt medikamentöse Ruhigstellung

Am 21. September ist Welt-Alzheimer-Tag. In Deutschland kritisieren Experten den viel zu starken Fokus der Behandlung von demenziellen Erkrankungen auf die medikamentöse Therapie und fordern ein Umdenken.

Wirkungsvoller und verträglicher als die Ruhigstellung mit Neuroleptika seien oftmals aktivierende Therapien, die Betroffene aus ihrer Apathie holen.  Die Geriatrie an der Universitätsmedizin Mannheim setzt dazu erfolgreich die Tovertafel ein, eine innovative Spieleanwendung aus den Niederlanden.

Entspannungsmusik-News-GesundheitGesundheits-News – Köln, 15. September 2021 – Am 21. September macht erneut der Welt-Alzheimer-Tag auf die Situation von Menschen mit Demenzerkrankungen aufmerksam. Im Vorfeld fordert Geriatrie-Experte Heinrich Burkhardt, in der Therapie endlich umzudenken. Der Direktor der IV. Medizinischen Klinik, Geriatrie, an der Universitätsklinik Mannheim kritisiert vor allem den zu häufigen Einsatz von Psychopharmaka: „Trotz klarer Leitlinien wird zu oft auf Neuroleptika gesetzt. Den Patienten in erster Linie ruhig stellen zu müssen, ist eine weit verbreitete Fehlmeinung, die immer wieder dazu führt, dass Therapieerfolge erschwert werden”, so Burkhardt.

Der Geriater fordert Konzepte zur raschen Umsetzung einer leitliniengerechten Behandlung, die die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten sowohl in der Therapie als auch in der Pflege konsequenter in den Mittelpunkt zu stellen. Der Handlungsdruck wachse von Jahr zu Jahr. Das bestätigen auch jüngste Zahlen: So prognostizierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unlängst, dass bis 2030 rund 40 Prozent mehr Menschen weltweit mit Demenz leben werden als heute. Mit ein Hauptgrund dafür ist die dank besserer Lebensbedingungen vor allem in den westlichen Industrieländern steigende Lebenserwartung. In Deutschland sind derzeit etwa 1,6 Millionen Menschen von Demenz-Erkrankungen betroffen.

Im Verlauf einer Demenz verlieren Betroffene nicht nur viele kognitive Fähigkeiten, auch die emotionalen und sozialen Fähigkeiten gehen oftmals langsam verloren. Einige werden dann  still und wirken in sich gekehrt. Viele reagieren aber auch mit Unruhe und Aggression. Für pflegende Angehörige oder Pflegekräfte sind  solche  Verhaltensweisen oft sehr belastend. Doch der oft gewählte Einsatz von Neuroleptika zur Beruhigung  kann problematisch, die gesundheitlichen Folgen können schwerwiegend sein: Für den Demenzreport 2020 (1) hat Gerd Glaeske, Gesundheitswissenschaftler der Universität Bremen, die Verschreibungspraxis für diese Arzneimittel anhand von Versichertendaten untersucht. Ihm zufolge verdichten sich die Hinweise, dass Neuroleptika bei Demenzerkrankten zu einer Häufung von Herzinfarkten, Schlaganfällen sowie Lungenentzündungen führen. Außerdem könnten Neuroleptika bei Demenzpatient:innen den Verfall der kognitiven Leistungsfähigkeit möglicherweise noch beschleunigen. “Die immer noch weit verbreitete Verordnung von ruhig stellenden Mitteln bei Menschen mit Demenz ist langfristig keine akzeptable Strategie“, lautet Glaeskes Fazit in der Pressemitteilung der hkk Krankenkasse (Handelskrankenkasse) Bremen zum Demenzreport (2).

„Wir müssen Medikamente einsetzen, wenn die Menschen in schwere Krisen kommen, wenn sich nicht tolerierbare Verhaltensauffälligkeiten einstellen. Aber die Medikamente sind nur die Leitplanken. Die Brücke über diese Schlucht der Krise, der Gefährdung, ist die Aktivierung“, betont Burkhardt.

So helfe die gezielte Aktivierung etwa durch gemeinsame Biografiearbeit und Spielerlebnisse auch bei einer fortgeschrittenen Demenz, positive Perspektiven für die Patienten und ihre Angehörigen zu entwickeln. Längst unterstützen und erleichtern das innovative Therapiemittel. Die Geriatrie der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) etwa setzt dabei auf die Tovertafel aus den Niederlanden. Die von Hester Anderiesen Le Riche gemeinsam mit Neurologen und Pflegeexperten entwickelte KI-gestützte aktivierende Spieleanwendung wird weltweit von über 5.500 Pflegeeinrichtungen eingesetzt. „Tover“ ist das niederländische Wort für Zauber. Per Lichtprojektionssystem werden bunte Blumen oder Seifenblasen auf ganz normale Tische projiziert und laden Menschen mit Demenz spielerisch zur Interaktion mit ihrer Umwelt ein. Beim Tover-Spiel “Besteckpolieren” etwa haben die Senioren echte Putzlappen in der Hand. Und beim Spiel “Laubfegen” können sie die Blätter entweder mit der Hand vom Tisch wischen oder stehend mit einem richtigen Besen wegkehren. Die Technologie hinter der Tovertafel erkennt sowohl Handgesten als auch Gegenstände und wandelt diese in entsprechende Spielabfolgen um. Die Toverspiele regen die Nutzer:innen zu Gesprächen über ihr Leben an und fördern den Austausch zwischen Betroffenen, Angehörigen und Therapeuten. Sie ermutigen die Patientinnen und Patienten, verringern ihren Stress und entlasten damit auch das Pflegepersonal.

Video: Die Tovertafel im Einsatz

„Das gemeinsame Spiel weckt schlummernde Ressourcen. Die Patienten erfahren, ich kann etwas”, erklärt Sabine Schulz, Gründerin und erste Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft Mannheim, die der Geriatrie am UMM die Tovertafel spendete . „Ich konnte schnell feststellen, dass es hier um keinerlei Leistungsanreize geht, bei denen die Patienten ein Negativerlebnis nach dem anderen haben, sondern um Glücksmomente durch die gemeinsame Interaktion. “ Die für unterschiedliche Vorlieben und Bedürfnisse entwickelten Toverspiele tragen auch in Pflegeheimen dazu bei, Wohlbefinden und mögliche Therapiefortschritte individuell zu fördern.

„Eine schwere Erkrankung ist immer eine existenzielle Bedrohung. Sie verlieren ihre Normalität. Sie verlieren die Kontrolle über ihren Alltag. Und bei der Demenz ist das ganz große Thema der Verlust des eigenen Selbst”, ergänzt Dr. Burkhardt. „Die Tovertafel unterstützt uns dabei, die Patienten in ihrem Selbst zu stärken und eine positive Perspektive für sie und ihre Angehörigen zu eröffnen.“

(1) Glaeske, Gerd: Demenzreport 2020, September 2020

(2) Pressemitteilung hkk Bremen zum Demenzreport 2020 “Demenz-Studie: Einsatz von Psychopharmaka hochbedenklich”, 19. November 2020

Über Tover
Mit der Tovertafel (dt. Zaubertisch) sorgt eine leicht in jeden Pflegealltag integrierbare Neuerung aus den Niederlanden für große Freude in deutschen Pflegeheimen, Kliniken und Senioreneinrichtungen. Die Niederländerin Hester Anderiesen Le Riche hat ihre interaktive Spieleplattform 2015 im Rahmen ihrer Doktorarbeit im Fachbereich Industriedesign entwickelt. Per Lichtprojektionssystem werden bunte Blumen oder Seifenblasen auf jeden Tisch projiziert und laden Menschen mit Demenz spielerisch zur Interaktion mit ihrer Umwelt ein. In mittlerweile mehr als 5.500 Pflegeinstitutionen weltweit, darunter 500 Pflegeeinrichtungen und Seniorenheimen in Deutschland, sorgt die Tovertafel für Anregung, Bewegung, Spaß und Entspannung. Weitere Informationen: tover.care

PIABO PR GmbH
Nadine Kupfer
tover@piabo.net
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